Die Szene wirkte auf den ersten Blick nicht spektakulär. Polen hatte Eckstoß, der Ball segelte in den Strafraum, Andorra konnte nicht klären, es gab Getümmel. Robert Lewandowski suchte den Weg zum Ball, dabei fiel Albert Alavedra Jimenez in ihn hinein. Erst als der Stürmer humpelte und dann stehen blieb, wurde seine Umgebung aufmerksam. Kurz darauf nahm ihn Nationaltrainer Paulo Sousa vom Feld. Zur Vorsicht, dachten zunächst alle, da Polen bereits 2:0 führte - durch zwei Tore von Lewandowski.
Auf der Bank saß Lewandowski dann mit einem Eisbeutel. Das war fast schon jener kuriose Augenblick, in dem Uli Hoeneß im RTL-Studio, in dem er neuerdings als Kommentator arbeitet, zum Telefon griff, um sich persönlich zu erkundigen. Die ersten Prognosen, teilte der Ehrenpräsident des FC Bayern den Zuschauern mit, seien "nicht ganz so schlimm". Bei Anblick der Eisbeutel-Bilder sei ihm jedoch "kurz das Herz stehen geblieben". Auch der polnische Verband sprach in seiner ersten Diagnose von nur "fünf bis zehn Tagen" Pause.
Seit Dienstagnachmittag aber ist die definitive Diagnose da, erstellt von der medizinischen Abteilung des Rekordmeisters: Bänderdehnung im Knie, der FC Bayern rechnet mit einem Ausfall von vier Wochen. Damit verpasst der Stürmer am Karsamstag das Bundesliga-Spitzenspiel bei RB Leipzig - und auch beide Champions-League-Viertelfinalspiele gegen Paris Saint-Germain.
Je nach Genesungsverlauf könne er bis zu fünf Bundesligaspiele fehlen. Zudem - ein Weiterkommen gegen Paris vorausgesetzt - in einem laut Auslosung möglichen Champions-League-Halbfinale gegen Borussia Dortmund oder Manchester City. Es wird Lewandowskis längste Verletzungspause sein. Bisher fehlte der nun schon 32-Jährige in all seinen Profijahren in Dortmund (bis 2014) und beim FC Bayern maximal drei Spiele am Stück. Einmal quälte er sich zwar mit einer Schulterverletzung durch ein Champions-League-Duell mit Real Madrid - ansonsten aber war er die Konstanz in Person.
Eine Reaktion des Klubs gab es neben der nüchternen Mitteilung zunächst nicht. Doch für den FC Bayern ist das nun, man kann es nicht anders sagen, in dieser Saisonphase der größte anzunehmende Unfall. In den Wochen, in denen Vorentscheidungen und Entscheidungen fallen, fehlt dem Klub der aktuelle Weltfußballer, der Zentralstürmer, der in 26 Bundesligaspielen 35 Tore erzielte. Nur fünf fehlen ihm noch bis zum Rekord von Gerd Müller. Je nach Rückkehrzeitpunkt bleiben ihm dafür nur noch drei, vier Spiele.
Der einzige weitere echte Mittelstürmer im Kader von Hansi Flick ist Eric Maxim Choupo-Moting, 32, der im Sommer aus Paris kam und in bislang 16 Ligaspielen (ein Tor) und fünf Champions-League-Duellen (zwei Tore) für die Bayern zum Einsatz kam. Alternativ könnte der Trainer auch auf Thomas Müller als Sturmspitze zurückgreifen, oder Serge Gnabry ins Zentrum des Offensivspiels stellen. Unabhängig davon, welche Lösung Flick wählt, es wird eine massive Umstellung sein. Der FC Bayern musste - siehe oben - noch nie so lange ohne seinen Fixpunkt auskommen. Er musste deshalb auch niemals über längere Zeit beweisen, dass ihm auch ohne den Serientorschützen Tore in Serie gelingen können. Es hat sich eine Abhängigkeit entwickelt, aus der sich die Münchner jetzt lösen müssen.
In dieser Saison wurde Lewandowski in der Bundesliga nur beim 2:1 am sechsten Spieltag gegen den 1. FC Köln geschont, im Pokal verzichteten die Münchner beim Erstrundensieg gegen Düren (3:0) auf ihn. In der Champions League fehlte er in den beiden bedeutungslos gewordenen Vorrundenspielen gegen Atlético Madrid und Lokomotive Moskau. Ansonsten? Er spielte und spielte. Und traf und traf.
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