Im nachfolgenden Fall soll die Entfernung eines Fragments unter Anwendung einer Variante der Tube-Technik präsentiert werden.
Es ist unbestritten, dass der Erfolg einer Wurzelkanalbehandlung im Wesentlichen von der Desinfektion im Wurzelkanalsystem abhängt. Das Ziel des Behandlers ist es stets, möglichst viele Bakterien aus diesem Hohlraumsystem zu eliminieren. Hierfür ist es Voraussetzung, das Wurzelkanalsystem bis kurz vor das Foramen physiologicum chemo-mechanisch aufzubereiten. Der genaue Endpunkt dieser Aufbereitung und das Patency-Konzept sind bis heute Gegenstand von wissenschaftlichen Debatten und werden in diesem Artikel nicht weiter behandelt.
Unstrittig ist jedoch, dass eine chemo-mechanische Aufbereitung bis beispielsweise. in das mittlere Drittel des Wurzelkanalsystems zwar zu einer ausreichenden Desinfektion führen kann – die Vorhersagbarkeit des endodontischen Behandlungserfolgs hierdurch jedoch reduziert wird. Diese Problematik ist häufig das Ergebnis einer fehlerbehafteten Präparation des Wurzelkanals, z.B. durch Stufenbildungen, Verblockungen des apikalen Kanalabschnitts, einer Via falsa oder eben auch durch die Fraktur eines Wurzelkanalinstruments.
Letztere Komplikation tritt laut Literatur mit einer Häufigkeit von etwa ein bis sieben Prozent auf.1–8 Durch die Separation eines Instruments wird die weitere Desinfektion des Wurzelkanalsystems ab der Frakturfläche verhindert, da dieses wie ein Korken im Kanal sitzt. Nun stellen sich die Fragen, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen der chemo-mechanischen Reinigung die Fraktur aufgetreten und wie die Infektionslage im Kanalsystem zu bewerten ist. Ist das apikale Wurzeldrittel der chemo-mechanischen Aufbereitung unzugänglich geworden, ohne dass eine vorherige Aufbereitung und Desinfektion in diesem Bereich stattgefunden hat, ist dies bei einer infizierten Pulpanekrose mit apikaler Parodontitis sicherlich kritischer zu bewerten als bei einer Vitalexstirpation.7,9–12 Diese Überlegungen müssen angestrengt werden, um die Notwendigkeit der Entfernung des frakturierten Instruments abzuschätzen, denn jede Fragmententfernung geht unweigerlich mit einem Verlust an Zahnhartsubstanz einher. Eine sinnvolle Nutzen-Risiken-Abwägung ist daher in jedem Fall geboten.
Für die Entfernung eines Fragments stehen dem Behandler verschiedene Techniken zur Verfügung. Da jeder klinische Fall unterschiedlich ist, kann hier keine allgemeingültige Empfehlung ausgesprochen werden. Die gängigsten Vorgehensweisen stellen die Loop-Technik (Lasso-Technik, Schlaufen-Technik), die Entfernung mithilfe von Ultraschallinstrumenten, die Braiding-Technik (Umschlingungstechnik) und die Tube-Technik (Hülsen-Technik) dar.13,14 Im nachfolgenden Fall soll die Entfernung eines Fragments unter Anwendung einer Variante der Tube-Technik präsentiert werden.
Kasuistik
Die 49-jährige Patientin wurde von ihrem Hauszahnarzt überwiesen. Aufgrund einer symptomatischen irreversiblen Pulpitis leitete man alio loco die Wurzelkanalbehandlung an Zahn 47 ein. Während der Behandlung frakturierte ein Instrument im mesiolingualen Wurzelkanalsystem und konnte nicht entfernt werden. Da jedoch eine Schmerzsymptomatik persistierte, war es der Wunsch der Patientin und des Überweisers, das Fragment zu entfernen und die Behandlung abzuschließen.
Die präoperative Zahnfilmaufnahme zeigte ein etwa 7 mm langes Instrument, das sich auf das koronale bis apikale Drittel der mesialen Wurzel projizierte (Abb.1). Darüber hinaus war ersichtlich, dass im mesialen Bereich des Pulpakammerbodens nach zentral bereits ein erheblicher Substanzabtrag stattfand (Abb. 1, gelbe Pfeile). Am koronalen Ende des Fragments konnte im Kanal bereits eine Stufenpräparation ausgemacht werden (Abb. 1, roter Pfeil) – mutmaßlich durch den bereits stattgefundenen Versuch einer Fragmententfernung. Der apikale Bereich zeigte röntgenologisch keine pathologischen Veränderungen. Sowohl die mesiale als auch die distale Wurzel des Zahns zeigte andeutungsweise einen s-förmigen Verlauf. Die noch folgende Behandlung fand in zwei Sitzungen statt. Es wurde zu jedem Zeitpunkt unter einer Kofferdam-Isolation und unter Zuhilfenahme eines Operationsmikroskops gearbeitet.
In der ersten Sitzung wurde der Bereich zunächst lokal anästhesiert und anschließend das vorhandene Provisorium und die medikamentöse Einlage entfernt. Die Sicht fiel nun auf die Kanaleingänge und den bereits vorab vermuteten Substanzabtrag im Bereich des mesialen Pulpakammerbodens (Abb. 2).
Galerie
Um eine Entfernung des Fragments möglich zu machen, wurde der koronale Anteil (ca. 2 mm) des Instruments zirkulär mit einer ultraschallaktivierten K-Feile (15.02 U-Feile, NSK) freigelegt (Abb. 3). Hierbei wurde überwiegend in der Innenkurvatur gearbeitet. Nun wählte man eine Kanüle aus, die sich in leichter Klemmpassung über das Instrument applizieren ließ. Diese wurde mit einem selbsthärtenden Kompositzement (MaxCem Elite™, KerrHawe S.A.) befüllt und dann gezielt über das herausragende Ende gestülpt (Abb. 4). Nach der Aushärtung des Zements wurde die Spülkanüle gegen den Uhrzeigersinn rotiert, um das Instrument herauszudrehen. Hierzu ist die Kenntnis, um welches Instrument es sich handelt, entscheidend (links- oder rechtsschneidend). Unterstützend fand währenddessen eine Aktivierung der Kanüle durch Ultraschall statt. Dies erweist sich in solchen Fällen häufig als hilfreich. Die Vollständigkeit des entfernten Instruments konnte extraoral nun geprüft und bestätigt werden (Abb. 5–6). Da auch die Durchgängigkeit des Wurzelkanals mit einer C-Pilot-Feile (10/02) verifiziert werden konnte (Abb. 7), wurde keine Röntgenkontrollaufnahme nach Entfernung des Fragments angefertigt. Ab diesem Zeitpunkt konnte die Wurzelkanalbehandlung im herkömmlichen Vorgehen vollendet werden. Zur mechanischen Aufbereitung wurden maschinelle Nickel-Titan-Instrumente (Reciproc® und VDW.RotateÔ, VDW) mit Handinstrumenten kombiniert. Dies wurde begleitet von ausgiebigen Spülungen mit 3% -igem Natriumhypochlorit, das wiederholt mit Schall aktiviert wurde (EDDY®; VDW). Zur Entfernung des entstandenen Smearlayers wurde 40%ige Zitronensäure verwendet.
Bei Wiedervorstellung zum zweiten Termin war die Patientin beschwerdefrei. Die Obturation des Wurzelkanalsystems erfolgte mithilfe eines Sealers auf Epoxidharzbasis (AH Plus®; Dentsply Sirona) und warmer vertikaler Kompaktion der Guttapercha. Die Kavität wurde anschließend durch Munce-Bohrer (HanChaDent) angefrischt und mit Aluminiumoxidpulver (90 mm) ausgestrahlt. Der postendodontische Verschluss erfolgte nun unter Verwendung eines selbstätzenden Zweikomponenten-Bondings (Clearfil™ Liner Bond 2V, Kuraray Noritake; Abb. 8). Die Kanaleingänge wurden vorab durch eine Schicht Bulk-Fill-Komposit (SDR flow+, Dentsply Sirona) abgedeckt, ehe die restliche Kavität mit einem dualhärtenden Kompositmaterial (LuxaCore Z, DMG) in Mehrschichttechnik verschlossen wurde. Das Behandlungsergebnis wurde letztlich mit einer Zahnfilmaufnahme kontrolliert.
Etwa drei Monate später wurde die Patientin zur Nachkontrolle vorstellig. Zu diesem Zeitpunkt lagen keine Symptome an Zahn 47 vor. In der angefertigten Zahnfilmaufnahme zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten im Bereich des periradikulären Knochens (Abb. 9).
Diskussion
Im hier präsentierten Fall entschied man sich für die Anwendung der Tube-Technik zur Entfernung des frakturierten Instruments. Dafür sprach einerseits die weit koronale Lage der Frakturfläche und die gute Zugänglichkeit des Fragments. Andererseits wurde durch dessen Länge und die vorliegende Wurzelkrümmung eine hohe Friktion im Wurzelkanal erwartet. Dies bedingt, dass für dessen Entfernung große Zugkräfte vonnöten sind. Als alternative Möglichkeit kommt die Anwendung einer Loop-Technik in Betracht. Die Limitierung hierbei ist jedoch, dass der Draht reißen kann, bevor sich das Instrument aus seiner Lage lösen lässt. Darüber hinaus lassen sich Ultraschallschwingungen mithilfe der Tube-Technik besser auf das Fragment übertragen, als mit einem Draht-Loop.
Zur Freilegung der koronalen 2 mm des Fragments wurde in diesem Fall vorwiegend in der Innenkurvatur des Wurzelkanals mit Ultraschallinstrumenten präpariert. Diese Strategie reduzierte den Krümmungswinkel und verhinderte eine Vergrößerung der Stufenbildung in der Außenkurvatur des Kanals sowie eine mögliche Perforation in dieser Region. Hinsichtlich der Ultraschallpräparation ist ein zurückhaltendes Vorgehen bei langen Fragmenten geboten. Ansonsten besteht die Gefahr einer Fraktur des oberen Fragmentanteils (Ermüdungsbruch), wodurch es zunehmend schwieriger wird, den verbliebenen Anteil zu entfernen. Es ist also darauf zu achten, dass nicht zu viel Energie auf das Fragment appliziert wird und möglichst die Seite des Instrumentes bearbeitet wird, um einem Ermüdungsbruch entgegenzuwirken. Auch eine Kühlung durch Flüssigkeit reduziert diese Gefahr.
Im Rahmen einer Fragmententfernung gibt es unterschiedliche prä- und intraoperative Faktoren, die auf den Erfolg des Versuchs Einfluss nehmen. Im hier präsentierten Fall war es für den Behandlungserfolg begünstigend, dass das Instrument eine weit koronale Lage im Kanal einnahm. Hierdurch war eine gute Einsehbarkeit des Instruments gewährleistet. Da dies bereits im präoperativen Zahnfilm vermutet werden konnte, verzichtete man hier auf eine digitale Volumentomografie (DVT) zur präoperativen Diagnostik. Nichtsdestotrotz bleibt zu erwähnen, dass für die Planung einer Fragmententfernung die Anfertigung einer präoperativen DVT-Aufnahme hilfreich sein kann.14,15 Durch die bessere Beurteilung der anatomischen Verhältnisse, wie z.B. Wurzelkrümmung und Dentindicke, kann die Entfernung unter den Gesichtspunkten der Minimalinvasivität und Risikoreduzierung detaillierter geplant werden.
Ein weiterer begünstigender Faktor war im vorliegenden Fall die Verfügbarkeit eines Dentalmikroskops. Hierdurch können selbst kleine Fragmente visualisiert und mit guter Vorhersagbarkeit entfernt werden.14,16 Auch die Erfahrung des Behandlers stellt einen prognostisch relevanten Faktor dar.10, 14
Zudem nehmen Länge, das Material und die Geometrie eines Instrumentenfragments Einfluss auf dessen Entfernbarkeit.17 Durch das Zusammenwirken dieser Parameter wird der Reibungswiderstand an der Wurzelkanalwand festgelegt. Im hier präsentierten Fall war durch die große Länge des Fragments und die Krümmung der Wurzel mit einer hohen Friktion im Wurzelkanal zu rechnen. Was sich hier jedoch mutmaßlich zugetragen hat, war eine sogenannte Ermüdungsfraktur. Durch wiederholte und lang anhaltende Belastungen können Wurzelkanalinstrumente auch in einem späten Stadium der Aufbereitung frakturieren. Liegt ein solches Szenario vor, so ist das entsprechende Fragment – im Gegensatz zu Torsionsfrakturen – nicht zwangsweise fest im Wurzelkanal verklemmt. Im Allgemeinen lassen sich kurze Fragmente aufgrund ihres kürzeren Kontaktbereichs, der geringeren Frakturgefahr sowie der reduzierten Problematik des „Aufstellens“ im Kanal leichter entfernen.
Fazit
Im vorliegenden Fall gab es röntgenologisch keine Anzeichen für das Vorliegen einer apikalen Parodontitis. Dieser prognostische Faktor ist von höherer Relevanz im Vergleich zu einem verbliebenen Instrumentenfragment.9 Durch die bestehende Beschwerdesymptomatik der Patientin wurde eine Entfernung des Instruments in diesem Fall jedoch als notwendig angesehen. Aufgrund der Abwesenheit von Symptomen und der unauffälligen Röntgenkontrolle drei Monate später wurde die Prognose des Zahns als „gut“ eingestuft. Der limitierende Faktor ist hierbei womöglich der Hartsubstanzdefekt auf Höhe der Orifizien der mesialen Wurzel und die damit verbundene geringere mechanische Stabilität. Die Patientin wurde unterrichtet, dass der Zahn in regelmäßigen Abständen klinisch und röntgenologisch nachuntersucht werden muss.
Eine Literaturliste steht hier zum Download für Sie zur Verfügung.
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