Der Schreck ist ihm ins Gesicht geschrieben, aber kühl macht er eine erste Bestandsaufnahme. Kurz vor dem Ziel der Vendée Globe, der härtesten Regatta für Soloregatta, stößt Boris Herrmann mit einem Trawler zusammen. Der Hamburger Segler hatte in aussichtsreicher Position gelegen, mit ein wenig Glück hätte er das Rennen sogar noch gewinnen können. Dann das Unglück 85 Seemeilen vor dem Ziel.
»Ich habe geschlafen«, sagt er in einem Video, das er eine Stunde nach der Havarie auf YouTube hochlädt. Sein Boot raste durch die Nacht, gesteuert vom Autopiloten, wie so oft auf den vielen Tausend Meilen, die er bereits im Kielwasser hat. Dann ein gewaltiger Krach, Herrmann springt ins Cockpit und sieht eine riesige Wand vor sich, die Bordwand eines großen Fischtrawlers.
Eine der Tragflächen ist gebrochen, die seinem Schiff Auftrieb und so viel Speed verleiht, das sieht er sofort, das Vorsegel hängt an einem Kran des Trawlers fest. Er hört, wie das Material reißt. Und er ist noch in unmittelbarer Gefahr. Mit dem Ausleger, der die Abspannung des Masts hält, rammt er wieder und wieder gegen den Trawler. »Aber dann bin ich glücklicherweise an der Bordwand vorbeigerutscht und freigekommen.«
Kein Wasser im Boot, aber schwere Schäden
Er verschafft sich einen schnellen Überblick über die Schäden. »Das Wichtigste zuerst: kein Wassereinbruch.« Aber das Foil an Steuerbord ist kaputt und bei der Kollision hat es den Bugspriet abgerissen. Das zerfetzte Segel knattert im Wind. »Ich holte einmal tief Luft. Dann ging ich schnell runter, um mich anzuziehen.«
Was tun? Er will weiter, er will sein Boot über die Ziellinie bringen. Trägt ihn das Schiff noch hin, kann er noch segeln? Ein Want ist gerissen, das den Mast stabilisiert, da muss er eine Lösung finden. Das zerstörte Segel muss geborgen werden, das Großsegel, das unbeschädigt scheint, kann er so auch nicht stehen lassen, es gibt zu viel Druck im demolierten Rigg. Fieberhaft arbeitet er, um seine »Seaexplorer« so weit wieder herzurichten, dass er erst mal sicher weiter segeln kann. Mit einer Geschwindigkeit von acht Knoten humpelt Herrmann weiter. Vor dem Crash war er mit knapp zwanzig Knoten unterwegs gewesen.
»Zum Glück«, sagt er in seiner ersten Bilanz des Unfalls, »war ich sofort voll da und ganz ruhig.« Man hört im YouTube-Video, wie das Wasser an der Bordwand der »Seaexplorer« entlangrauscht. Es geht vorwärts, wenn er so weiterfährt, schafft er es nach Les Sables d’Olonnes. »Ich muss jetzt mit meinem Team an Land besprechen, was ich weiter machen kann. Die demolierte Tragfläche hängt ja noch im Wasser und bricht weiter auseinander.«
Und die Fischer? Ein großes Schiff ja offenbar. Es hat sich bislang noch nicht über Funk gemeldet zu dem Vorfall. Hatte Herrmann Kontakt mit der Brücke nach der Havarie? Hat die Crew Hilfe angeboten? Sind an Bord alle wohlauf? Wir wissen es noch nicht.
Am Mittwoch hatte Boris Herrmann noch mit dem SPIEGEL gesprochen, ein Interview von hoher See via Satellitentelefon, eine erste Bilanz des Marathons durch Atlantik, Indischen Ozean und Pazifik. Was war der Schlüssel zu seinem erfolgreichen Rennen? Vorsicht. Er sagt es immer wieder. Als der Wind ihn im Südlichen Ozean auf maximale Geschwindigkeit schiebt, verkleinert er die Segel. Tritt auf die Bremse. Das Geschwindigkeitspotenzial ist so groß, sagte er, dass sich das Boot selbst zerstören würde, wenn es sich mit Wucht in die nächste Welle bohrt. Bloß nichts kaputt machen, lautet seine Philosophie, heil durch die Stürme kommen. Um dann auf dem letzten Stück nach Norden, den Atlantik rauf nach Frankreich, noch angreifen zu können. Etliche Konkurrenten sind schon ausgefallen, manche auch, weil sie ihr Schiff zu sehr pushten. Herrmann weiß, dass er sich bremsen muss, auch wenn es schwerfällt.
Das ist seine Strategie: Er geht es kontrolliert an, er überdenkt den nächsten Schritt. Herrmann agiert immer methodisch, mit einem Plan. Wie kann dann so etwas passieren?
Wie kam es zur Kollision? Warum haben die Warnsysteme versagt?
»I am gutted«, sagt er im Video auf Englisch, grenzenlos enttäuscht. Und entschuldigt sich bei seinen Anhängern, die das Rennen seit Tagen, ja Wochen atemlos verfolgen. Die am Racetracker der Vendée-Globe-Ausrichter hängen, die seine Videos und WhatsApp-Nachrichten verschlingen, jeden Tag sendet er. Er bittet um Verzeihung, dass er sie enttäuscht hat. Auf den Gedanken muss man erst einmal kommen in einer solchen Situation.
Warum er den Fischtrawler gerammt hat? »Ich verstehe es nicht«, sagt er. »Ich hatte alle Warnsysteme eingeschaltet.« Er hat Radar. Er hat ein AIS-Warnsystem, das Positionsmeldungen von anderen Schiffen empfängt, die ihm gefährlich werden könnten. Und er hat Oscar, ein spezielles, nach vorne gerichtetes Sonargerät, das ihn davor schützen soll, in Treibgut zu krachen wie etwa auf einen Container, der über Bord eines Schiffs gefallen ist und knapp unter der Wasseroberfläche treibt. »Ich habe alle Systeme immer wieder getestet, sie haben bei allen anderen Schiffen, die mir heute begegnet sind, funktioniert. Keine Ahnung, warum sie jetzt nicht angesprungen sind.«
Die ersten Konkurrenten machen schon in Les Sables d'Olonnes fest. Der Franzose Charlie Dalin ist als Erster über die Ziellinie gefahren. Nach 80 Tagen, 6 Stunden, 15 Minuten und 47 Sekunden. Als Gewinner darf er sich dennoch nicht fühlen. Zwei andere Skipper haben noch eine Zeitgutschrift aus der Rettungsaktion im Südlichen Ozean für den schiffbrüchigen Konkurrenten Kevin Escoffier. Der Franzose Yannick Bestaven auf der »Maître Coq IV« bringt eine Gutschrift von zehn Stunden und 15 Minuten mit – er wird zum Sieger erklärt. Auch Boris Herrmann wäre wegen seines Einsatzes für Escoffier noch weiter nach vorne gekommen.
Schade um die gute Platzierung, seufzt er, aber das ist jetzt alles Nebensache. »Das ist der schlimmste Albtraum, den ich jemals hatte.«
Laut Racetracker der Ausrichter von 7 Uhr fehlen ihm noch knapp 30 Seemeilen ins Ziel, seine Geschwindigkeit schwankt zwischen sieben und acht Knoten. Wenn nun nichts mehr passiert, könnte Boris Herrmann um 11 Uhr MEZ im Ziel sein.
Um 8.36 Uhr meldet er sich noch einmal per WhatsApp, wieder auf Englisch, alle sollen es lesen können: »Dear friends, thank you for your support in the high as well as the low moments. We get through this. Almost there. 2 hrs.« Ein Tiefpunkt, aber: Wir kommen da durch. Noch zwei Stunden.
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