Ausstellungstitel können, wo sie treffend sind, viel über die jeweiligen Künstler aussagen: So lautete einer des Wiener Leopold Museums im Jahr 2014, da war der Künstler fünfundachtzig Jahre alt, „Arik Brauer – Gesamt.Kunst.Werk“. Eine Schau zu Brauer im Jüdischen Museum Wien wiederum hieß „Alle meine Künste“, und alle wurden sie gezeigt. Bisweilen „vertonte“ Arik Brauer auf seinen Vernissagen die eigenen Bilder, indem er sie zur Gitarre singend beschrieb. Schon die Zeitgenossen sahen in dem surrealistischen Maler, Grafiker, Architekten, Bänkelsänger und Erfinder des „Austro-Pop“ lange vor Falco also offenkundig einen sogenannten uomo universale, wie sie eigentlich seit der Renaissance ausgestorben schienen.
Der Ritterschlag für derartige Universalkünstler in bürgerlichen wie kommunistischen Gesellschaften – siehe Picasso und Malewitsch – ist das Bemalen von Porzellantellern. Diese „Ehre“ wurde Brauer 1988 durch die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten zuteil.
Dabei müsste der jüdische Wiener, der den Krieg knapp überlebt hatte, manchen Landsleuten nach 1945 ein wandelnder Stachel im Gehörgang gewesen sein: Seinen Geburtsnamen wandelte er von Erich in das bei jedem Hören schmerzende Arik, primär, weil seine israelische Frau Naomi das „Erich“ so aussprach, vielleicht aber auch, um in schwarzem wienerischen Sarkasmus bei jeder Nennung seines Namens an den Irrsinn und die vielen im Holocaust verlorenen Angehörigen zu erinnern.
Noch auf einem Selbstbildnis des Jahres 1963 steht er in jüdisch gelbem Malerkittel vor einer Landschaft; auf einem anderen Bild, „Mein Vater im Winter“ von 1983/84, steht dieser in einem blau zerfließenden Mantel mit übergroßer gelber Sternblüte darauf einsam und verloren in einer surrealen Eiswüste vor den rauchenden Schornsteinen von Krematorien. In den sechziger Jahren erhielt er für seine scharfen Lieder im Wiener Dialekt Todesdrohungen. Vergessen war für Brauer dennoch nie eine Option, aufgeben ebenso wenig. Er besorgte sich stattdessen eine Waffe.
So blieb auch bei aller wimmelnden Wiederaufsiedlung und Belebung seiner surrealen Bilder mit mandragorawurzeligen Figuren und zerfließenden Gestalten eines stets klar erkennbar: die von ihm gemeinten Menschen, weshalb man Brauer sinnvoll als „phantastischen Realisten“ mit der Betonung auf Realismus charakterisieren darf. Zurecht ist ihm in der aktuellen großen Übersichtsschau österreichischer Kunst der Wiener Albertina zusammen mit den Freunden Ernst Fuchs und Rudolf Hausner einer der ersten Säle gewidmet ist, mit zentralen Beispielen seines Personals wie der deportierten Jugendliebe Litzi mit den ausufernden Zöpfen. Bereits 2009 gab er in einem Interview zu Protokoll: „Für mich ist es keine Frage, dass die gegenstandslose Malerei am Ende angekommen ist.“
Nur wer sich ändert bleibt sich treu
Um auf die Harakiri-Idee zu verfallen, jemals den Menschen als Zentrum seines musikalischen und bildnerischen Schaffens aufzugeben, liebte er schon den Rollentausch viel zu sehr: Auf einer Fotografie des Jahres 1950 sieht man ihn im Atelier auf einem Stuhl stehend an seine Staffelei gelehnt. Rechts unten ist in das Holzgestell der ansonsten leeren Staffelei ein kleines Bild seines Gemäldes einer nackten Liegenden eingespannt, deren Geste er als Künstler in diesem eingefrorenen Moment aufnimmt – der Maler denkt sich nicht nur in sein Modell hinein, er ist es. Hingegen kauern auf einem anderen Foto im Jahr 1957 Brauer und Naomi als jemenitisches Tanzduo verkleidet am Boden, und man muss schon genauer hinsehen, um zu erkennen, wer Mann und Frau ist.
Nun ist der Tausendsassa Brauer, der die Welt auf immer überraschende Weise bereicherte, am Sonntag kurz nach seinem zweiundneunzigsten Geburtstag am 4. Januar gestorben.
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