Zum ersten Mal war RB Leipzig in einem direkten Duell besser als der FC Bayern. Doch davon können sich die Leipziger nichts kaufen, weil ein Torjäger fehlt, um die Münchner und die Meisterschaft wirklich attackieren zu können.
Wenn es drauf ankommt, dann können die Spieler des FC Bayern auch ganz pragmatische Handwerker sein. Das bewies Manuel Neuer bereits vor Anpfiff des Spitzenspiels zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern München (0:1), als er eine gerissene Masche des Tornetzes im Leipziger Stadion mit einem Handtuch verknotete.
"Im Lockdown war man länger zu Hause, da repariert man schonmal das ein oder andere. Ich habe versucht, eine schnelle Lösung zu finden", berichtete der Welttorhüter im ZDF. Das Schiedsrichtergespann gab sich zwar erst zufrieden, als ein Stadionmitarbeiter mit Kabelbinder herbeieilte, sodass das Spiel vier Minuten Verspätung angepfiffen wurde.
Doch genauso pragmatisch wie Neuer mit dem Riss im Netz verfuhr, gingen die Münchner auch mit der Überlegenheit der Leipziger in diesem Titelduell um. Statt ein spielerisches Feuerwerk abbrennen zu wollen, verlegte sich der designierte Meister einfach mal darauf, Löcher in der Abwehr zu stopfen, kompakt zu verteidigen und effizient zu gewinnen. Mit nun sieben Punkten Vorsprung ist den Bayern die neunte Meisterschaft in Serie nur noch zu nehmen, wenn die Saison annulliert würde oder die Spieler plötzlich in einen Streik träten.
"Wir waren die bessere Mannschaft"
Noch nie in dieser Saison strahlten die Münchner weniger Torgefahr aus als gegen Leipzig. Dass die Bayern nur 46 Prozent Ballbesitz haben und lediglich 469 Pässe in einer Partie spielen - sozusagen als Underdog auftreten -, kommt nicht allzu häufig vor. Doch den Gästen genügte eine gute Phase zwischen 30. und 45. Minute, um durch Leon Goretzkas wuchtigen Schuss aus dem Hinterhalt, das Tor des Abends zu erzielen (38.).
Der Rest der Partie gehörte RB. Der Herausforderer fand sowohl besser ins Spiel als auch in die zweite Hälfte, als die Leipziger 20 Minuten furios aufspielten, Bayern bedrängten, aber drei, vier Topchancen durch Christopher Nkunku (48.), Dani Olmo (52., 53.) und Marcel Sabitzer (58.) vergaben. Doch kein Treffer aus 14 Schüssen Richtung Tor sind bei aller spielerischen Klasse schlicht nicht gut genug, um Deutscher Meister werden zu wollen. Leipzigs Spiel glich einem gelungen vorgetragenem Witz, bei dem der Erzähler die Pointe vergessen hat.
"Wir waren die bessere Mannschaft, haben in fast allen relevanten statistischen Werten bessere erzielt als Bayern - außer in der entscheidenden Statistik der Tore", sagte RB-Trainer Julian Nagelsmann einigermaßen angefressen. "Ich muss mir keinen Respekt erarbeiten, sondern ich will gewinnen. Es geht darum, aus unseren erspielten Chancen, mehr Tore zu erzielen. Das ist ein Schritt, den wir gehen müssen." Das münzte der 33-Jährige nicht nur auf das verlorene Titelduell gegen die Bayern, sondern auch auf Partien gegen Köln (0:0), Dortmund (1:3) und Mainz (2:3). 31 Tore haben die Leipziger nun weniger erzielt als der FC Bayern. "Der Unterschied ist zu groß", unterstrich Nagelsmann.
"Die Mannschaft hat Charakter und Mentalität gezeigt"
So reift wohl auch in der RB-Schaltzentrale am Cottaweg die Erkenntnis, dass das Team eigentlich alles hat - nur keinen Torjäger. Alle anderen Spitzenmannschaften der Bundesliga haben mindestens einen Knipser, der es auf eine ordentlich zweistellige Torquote bringt. Bei RB versuchten sie sich in dieser Saison an einem variableren Gegenentwurf mit 16 verschiedenen Torschützen. Doch das Exempel, ohne Torjäger Meister werden zu wollen, muss spätestens nach der unnötigen Pleite gegen die Münchner als gescheitert gelten.
Denn mit einem wie Erling Haaland, der sich gegen den vorgezeichneten Red-Bull-Karriereweg und für Dortmund entschieden hatte, stünde Leipzig wohl ganz vorn. So fehlt RB gerade in der entscheidenden Saisonphase und gegen Topgegner das Selbstverständnis eines Vollblutstürmers, Tore zu erzielen. "Wenn wir einen hätten, der 15,16, 17 Tore schießt, hätten wir das Spiel heute nicht verloren", sagte Nagelsmann.
Ein Auftrag an die Manager Oliver Mintzlaff und Sportdirektor Markus Krösche, einen solchen Mann zu finden. Der von Ajax Amsterdam verpflichtete Brian Brobbey (19) könnte sich eines Tages zu einem solchen Knipser entwickeln - aber sicher noch nicht in der kommenden Saison. Um realistisch den Titel angreifen zu können, benötigt RB einen spielstarken und auf Topniveau erfahrenen Mittelstürmer wie etwa Frankfurts André Silva.
So bleibt RB nur der schwache Trost, es den Münchnern so schwer wie selten gemacht zu haben und sich auf den letzten möglichen Titel, den DFB-Pokal-Sieg, einzuschwören. "Die Mannschaft hat Charakter und Mentalität gezeigt, das müssen wir mitnehmen", sagte Mintzlaff. Etwas bayrischer Pragmatismus wäre auch noch ganz praktisch.
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