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„Meine Ohren, die sausen und brausen“ - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

O ihr Menschen die ihr mich für feindselig störrisch oder misantropisch haltet oder erkläret, wie Unrecht tut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache ... bedenket nur, daß seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen.“ Eigentlich sollte sich Ludwig van Beethoven in Heiligenstadt bei Wien im April 1802 erholen, als er diese Zeilen schrieb. Es ist der Anfang seines „Heiligenstädter Testaments“, das der 32-Jährige an seine Brüder adressierte, aber nie abschickte. Sein Arzt hatte ihm einen Aufenthalt auf dem Lande nahegelegt, doch trieb sein „heilloser Zustand“ ihn auch hier in die Verzweiflung: „Welche Demüthigung, wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte.“

Beethovens Ertaubung ist nicht das einzige, aber das bekannteste seiner Gebrechen, die Mediziner und Historiker bis heute zu ergründen versuchen: Warum verlor er sein Gehör? Woher kamen die Unterleibsschmerzen? Litt er an der Syphilis, trieb ihn der Alkohol in den Tod? Besonders in diesem Jahr wird darüber wieder diskutiert, denn sein Tauftag, der 17. Dezember 1770 in Bonn, jährt sich zum 250. Mal. Sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt, dafür weiß man über seine Krankengeschichte umso mehr. Aus zahlreichen Briefen an Freunde und Ärzte, zeitgenössischen Notizen, den Konversationsheften, mittels deren sich der taube Musiker am Ende unterhielt.

Das Ertauben zog sich über zwei Jahrzehnte hin

„Meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort ... Die hohen Töne von Instrumenten, Singstimmen höre ich nicht; ... und doch sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich“, schreibt Beethoven im Juni 1801 in einem Brief an seinen Jugendfreund, den Arzt Franz Wegeler. Es gilt als erstes zeitgenössisches Zeugnis von Beethovens Gehörproblem und gibt schon erste medizinische Aufschlüsse: Das „Sausen“ würde man heute als Tinnitus bezeichnen, außerdem fällt eine beginnende Hochtonschwerhörigkeit auf, bei gleichzeitiger Lärmempfindlichkeit. Das spricht gegen einen Hörsturz oder eine Infektion, die das Gehör eher plötzlich betroffen hätte. Beethovens Taubheit begann offenbar im 27. Lebensjahr auf dem linken Ohr und schritt langsam voran. Nach einer Verschlechterung 1802 scheint sein Hörvermögen für zehn Jahre stagniert zu haben, von seinem 48. Lebensjahr an war er dann aber wohl völlig taub. Davon zeugen rund 400 Konversationshefte, in die seine Besucher ihre Fragen schrieben, 139 davon sind überliefert.

Das berühmte Porträt des Komponisten von Karl Joseph Stieler (1781-1858)

Das berühmte Porträt des Komponisten von Karl Joseph Stieler (1781-1858) : Bild: Picture-Alliance

Aber warum verlor Ludwig van Beethoven sein Gehör? Verschiedene Diagnosen wurden hier schon vorgeschlagen, darunter Infektionskrankheiten wie Syphilis oder der Morbus Paget, bei dem die Knochen des Schädels verdicken. Favorisiert wurde lange die Otosklerose. Wenn Schall in einem gesunden Gehör auf das Trommelfell am Ende des Gehörgangs trifft, versetzt er im dahinterliegenden Mittelohr winzige Gehörknöchelchen in Schwingungen, die auf das Innenohr übertragen werden. Dort befindet sich die sogenannte Cochlea, die Gehörschnecke, in der die sogenannten Haarzellen elektrische Impulse auslösen und über den Hörnerv an das Gehirn weitergeben. Dieser Prozess dauert nur wenige Hundertstel Sekunden, das Ohr ist unser schnellstes Sinnesorgan und wohl auch das empfindlichste. Bei der Otosklerose sind nun jene Gehörknöchelchen betroffen. Sie versteifen sich durch neues Knochenmaterial. Heute lässt sich der Prozess mit einer Operation aufhalten, bei der ein Knöchelchen durch eine Prothese ersetzt wird. Allerdings tritt Otosklerose selten in beiden Ohren auf und führt nicht zwangsläufig zu völligem Gehörverlust. Was hatte Beethoven stattdessen?

Verschollene Schädelknochen

Am Universitätsklinikum seiner Heimatstadt Bonn wurde Mitte Oktober ein Symposion abgehalten, das sich dem Komponisten aus medizinischer Sicht näherte. In dem begleitenden Buch „Ludwig van Beethoven: der Gehörte und der Gehörlose“ schließen Mediziner aus allen Indizien auf eine fortschreitende Innenohrschwerhörigkeit als wahrscheinlichste Ursache für Beethovens Ertauben. Bei diesem Leiden fallen aus noch ungeklärten Gründen die Sinneszellen im Innenohr aus, und zwar beginnend mit denen, welche für hohe Töne zuständig sind. Dies würde zu Beethovens Schilderung passen, dass ihm als Erstes hohe Singstimmen abhandenkamen. „Eine endgültige Klarheit wird man nie erreichen“, sagt der HNO-Arzt Bernhard Richter, der das Freiburger Institut für Musikermedizin leitet und auch das Symposion in Bonn organisiert hat. Denn die entscheidenden Knochen des Schädels Beethovens, erklärt Richter, die sogenannten Felsenbeine, in denen sich die Gehörschnecke befindet, können leider nicht mehr untersucht werden.

Beethovens Hörrohr und eines seiner Manuskripte

Beethovens Hörrohr und eines seiner Manuskripte : Bild: Picture-Alliance

Beethoven wurde am Tag nach seinem Tod, dem 26. März 1827, obduziert und danach sogar zweimal aus dem Grab geholt und untersucht, zuletzt rund sechzig Jahre nach seinem Ableben. Zwar wusste man damals erst wenig über die Funktionsweise des Gehörs, doch schon der erste Sektionsarzt, Johann Wagner, interessierte sich für das Gehör des berühmten Musikers und hielt im Obduktionsbericht fest, die Blutgefäße seien besonders groß gewesen, die Schädelknochen außergewöhnlich dick und der Hörnerv verödet. Die Felsenbeine, also die das Ohrinnere umhüllenden Knochenpartien des Schädels, wurden ausgesägt „und mitgenommen“. Sie sind heute verschollen.

Nein, keine Hinweise auf Syphilis

Damals gab es allerdings kaum Untersuchungsmöglichkeiten. Heute können Pathologen, die sich etwa mit historischen Leichen beschäftigen, auf Präzisionsmikroskope und Computertomographen zurückgreifen. Im Labor ließen sich gegebenenfalls DNA-Reste von Bakterien wie Treponema pallidum ssp. pallidum nachweisen, dem Erreger der Syphilis. Diese zumeist sexuell übertragene Krankheit wurde vielen bekannten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts nachgesagt, doch finden sich bei Beethoven keine Hinweise darauf.

Dafür ist viel darüber bekannt, was der Komponist gegen sein Leiden unternahm. Er gab viel Geld für vermeintliche Therapien aus und zog von einem Arzt zum anderen. Auf ihr Geheiß trank er Tees, nahm lauwarme Donaubäder, stopfte sich Baumwolle mit Mandelöl oder Meerrettich ins Ohr, ließ sich hautreizende Pflaster aufkleben und schreckte selbst vor der „galvanischen Behandlung“ nicht zurück, bei der man ihm Drähte in die Ohren legte und mit Stromstößen malträtierte. Natürlich half das alles nichts, und so war Beethoven auf Hörrohre angewiesen, die ihm der berühmte Mechaniker und Erfinder des Metronoms Johann Nepomuk Mälzel fertigte: Metallene Tuben mit suppenkellenförmigen Aufsätzen. An seinem Flügel war ein Holzstab befestigt, den sich Beethoven zwischen die Zähne klemmte, um so zumindest die Vibrationen der Musik zu spüren.

Beethovens Brief an seinen Bruder Johann: „(Friede Friede) sey mit unß, Gott gebe nicht daß das natürlichste Band zwischen Brüdern wieder unnatürlich zerrissen werde, ohnehin dürfte mein Leben nicht mehr von langer Dauer sein (...), u. ohnehin bin ich durch meine jetzt schon 3 1/2 monathliche Kränklichkeit sehr, ja äußerst empfindlich und reizbar, (...)“; um 1822

Beethovens Brief an seinen Bruder Johann: „(Friede Friede) sey mit unß, Gott gebe nicht daß das natürlichste Band zwischen Brüdern wieder unnatürlich zerrissen werde, ohnehin dürfte mein Leben nicht mehr von langer Dauer sein (...), u. ohnehin bin ich durch meine jetzt schon 3 1/2 monathliche Kränklichkeit sehr, ja äußerst empfindlich und reizbar, (...)“; um 1822 : Bild: Picture-Alliance

Dass Beethoven sich seiner Taubheit so schämte, lag nicht nur an seinem Beruf: Im 19. Jahrhundert galten Taube als dumm und lächerlich, so dass allerlei dezente Hörhilfen kursierten, bei Männern zum Beispiel als Gehstock getarnt, bei Damen als Fächer. Heute würde man Beethoven mit einem Cochlea-Implantat versorgen, einem Soundprozessor, der hinter dem Ohr getragen wird und akustische Signale auf eine unter die Haut implantierte Elektrik überträgt. Diese leitet die Signale direkt in die Gehörschnecke weiter und damit an den Hörnerv. Dem natürlichen Gehör kommt ein solches Implantat jedoch nicht gleich, an allen Feinheiten seiner Musik hätte sich Beethoven damit nicht erfreuen können.

Beim Komponieren war die Taubheit noch das kleinste Problem

Am Komponieren hat Beethoven auch der komplette Gehörverlust nicht gehindert. Einige seiner berühmtesten Werke – die Missa solemnis, seine späten Streichquartette und natürlich die neunte Symphonie – hat er selbst nie gehört. Für Musikwissenschaftler ist das keine große Überraschung: Beethoven verfügte über ein absolutes Gehör und konnte sich die Töne vorstellen. „Durch seine anderen Leiden war er in seiner Kompositionfähigkeit wohl viel häufiger eingeschränkt“, vermutet Bernhard Richter.

Das Genie war auch sonst ein kranker Mensch. Als Kind hatte er die Pocken, die sein Gesicht mit Narben überzogen haben, und er litt zeit seines Lebens unter Koliken und Durchfällen. Über sein unheilbares Unterleibsleiden klagte er in vielen Briefen. Heute würde man wohl von einem Reizdarmsyndrom sprechen. Auch quälten ihn eitrige Fingerentzündungen und Augenleiden. Und schon 1821 berichtete er von einer Gelbsucht, was auf eine Leberentzündung hindeutet. An einem Leberversagen ist Beethoven dann schließlich gestorben.

Der Alkohol gab ihm den Rest

Dafür sind punktförmige Einblutungen in der Haut typisch, sogenannte Petechien, mit denen sein Körper laut Obduktionsbericht übersät war. Darin wird seine Leber als verschrumpelt beschrieben und der Bauch als „ungemein wassersüchtig aufgetrieben“. Die Flüssigkeit, die sich, bedingt durch die Leberzirrhose, in seiner Bauchhöhle sammelte, wurde in den Tagen vor seinem Tod viermal abgelassen. Es waren jedes Mal mehr als zehn Liter. Beethovens Alkoholkonsum hat dafür sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt. Zwar stammt er aus einer Familie von Trinkern, sein Vater war dafür bekannt, und seine Großmutter wurde wegen ihrer Trunksucht gar ins Kloster gesteckt. Beethoven selbst war aber wohl eher ein Genusstrinker als der schwere Alkoholiker, als der er heute manchmal hingestellt wird. Weinkonsum in Größenordnungen von einer Flasche pro Tag und mehr waren damals ohnehin üblich, Goethe etwa langte ähnlich zu.

Dem chronisch kranken Beethoven untersagten die Ärzte den Alkohol, doch war er keinesfalls ein folgsamer Patient. Noch wenige Wochen vor seinem Ableben schrieb er einen dringenden Brief nach Mainz: „Nun komme ich aber mit einer sehr bedeutenden Bitte. Mein Arzt verordnet mir, sehr guten alten Rheinwein zu trinken ... Wenn ich also eine kleine Anzahl Bouteillen erhielt ...“ Sicher hatte ihm sein Arzt keinen Wein verschrieben, vielmehr wusste dieser wohl um Beethovens unaufhaltsames Ende – und ließ ihn gewähren. Noch am Sterbebett fragten ihn Besucher per Konversationsheft, ob er auch genügend Wein habe. Heute hätte ihm theoretisch eine Lebertransplantation helfen können, die aber zugleich einen gewissen Verzicht auf Alkohol bedeuten würde. Aber es war nicht die Liebe zum Wein gewesen, der Beethoven trotz seiner stets üblen Gesundheit im Leben hielt. „Es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben“, schreibt er im Heiligenstädter Testament, „nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so friste ich dieses elende Leben.“

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